Stellen Sie sich mal vor, Sie könnten Abends mit dem Tablet auf dem Sofa sitzen und die Daten einsehen, die staatliche Stellen über Sie gespeichert haben. Nach dem Login sehen Sie, dass vorgestern die Polizei auf ihr Profil zugegriffen hat. Dann denken Sie: »Vorgestern? Ach ja, da wurde ich ja wegen zu schnellen Fahrens angehalten. Also alles in Ordnung.« Was aber wäre, wenn Sie vorgestern nichts mit der Polizei zu tun gehabt hatten? Wäre es dann nicht toll ein Auskunftsrecht zu haben, wer ihr Profil angeschaut hat und warum? Sie meinen, das sei eine Utopie und geht nicht? Dann sollten Sie mal nach Tallinn in Estland fahren.
Office 21 Projektmeeting in Tallinn, Estland
Eine gesunde Skepsis darf man heutzutage natürlich immer an den Tag legen, wenn digitale Verheißungen verkündet werden. Und da wir als Forschungsnetzwerk Office 21 immer sehr daran interessiert sind, was Hype und was mit Technologie tatsächlich schon umsetzbar ist, lag es nahe unser nächstes Office 21 Projektmeeting in Tallin zu veranstalten.
Rotermann Areal Tallinn – Alt trifft neu
Schon der Auftakt unseres Meetings am Mittwochabend war von der besonderen Atmosphäre Tallins geprägt, wo an vielen Orten altes aus der Sovietzeit oder dem Mittelalter auf neues und modernes trifft. In unmittelbarer Nähe zum Hotel, im Rotermann-Areal lässt sich eine besonders beeindruckende Mischung aus wiederbelebten Industriebauten und moderner Architektur erleben. Das historische Viertel Rotermann befindet sich mitten in Tallinn, in einem Gebiet zwischen der Altstadt, dem Hafen und dem Viru Platz.
Projektmeeting im »Tehnopol Science Park«
Am Donnerstag führte uns unser Projektmeeting in den »Tehnopol Science Park«, dem größten Wissenschaftspark und Startup Center im Baltikum. Auf dem Gelände des »Tehnopol Science Park« befinden sich u. a. Skype oder Starship Technologies, die autonome Lieferroboter entwickeln.
Als Gast hatten wir dieses mal Wolfgang Beinhauer dabei, der als Physiker und Leiter des Teams Organisationsgestaltung einer der Experten für künstliche Intelligenz an unserem Institut ist. Wolfgang zeigte unseren Partnern dann was aktuelle Algorithmen, die so gerne unter der Überschrift Künstliche Intelligenz zusammengefasst werden, tatsächlich können und was eher in das Reich der Werbesprüche fällt.
Der weitere Tag stand unter der Überschrift eines der Schwerpunkte der neu gestarteten Forschungsphase. Zum Thema Cognitive Environments entwickelten wir gemeinsam mit den Partnern User Stories zur Beschreibung völlig neuartiger Büroumgebungen.
Koda – transportable Kleinhäuser und Büros
Gerade in den deutschen Ballungsräumen ist Wohnraum ein äußerst knappes Gut. Will man junge und motivierte Arbeitskräfte für Unternehmen gewinnen, muss man immer kreativer werden, um diesen attraktive Wohnmöglichkeiten zu bieten. Genau aus diesem Grund sind wir am späten Nachmittag aus Tallinn herausgefahren. Und aus der Stadt rausfahren, muss man an dieser Stelle wörtlich nehmen. Für einen kurzen Moment musste man sogar denken, dass sich der Busfahrer verfahren hat. Außer einem alten, verrosteten und ohne Scheiben dastehenden Gewächshaus, war dort leider nicht viel zu sehen.
Zu unserem Glück tauchte dann wenige Meter weiter hinten doch etwas auf. Der Standort von Kodasema. In einem ehemaligen Fabrikgebäude produziert die Firma in wenigen Tagen ein Modul, welches entweder als kleines Büro oder als Wohnmodul ausgestattet werden kann. Auf dem Gelände verteilt kann man sich dann verschiedene Module anschauen. Obwohl die meisten der ausgestellten Module in grau daherkommen, wäre eine individuellere Fassadengestaltung jederzeit möglich.
e-Estonia: Das digitale Estland
Am Freitag stand dann das Highlight unseres Estland-Besuches auf dem Programm. Wie schon zu Beginn geschrieben, konnte man im Vorfeld viel darüber lesen, dass das kleine Estland in Sachen digitale Verwaltung ganz weit vorne liegen soll. Wie weit vorne und mit welchem Pragmatismus diese Entwicklung vorangetrieben wird, war dann doch sehr überraschend und beeindruckend.
Digitale Gesundheitsakte – Herrscher über die Daten? Der Nutzer!
Der aus Berlin stammende und nach Estland ausgewanderte Tobias Koch begrüßte uns im e-Estonia Showroom und lies uns einen Blick in digitale Gesundheitsakten werfen. Während man in Deutschland seit mehr als einem Jahrzehnt über eine Plastikkarte aka Gesundheitskarte diskutiert, kann man sich in Estland via Smartphone in die eigene Gesundheitsakte einloggen. Dabei ist man selbst Herr über seine Daten, kann sehen was welche Behandlung gekostet hat und auch jederzeit sehen, wann welcher Arzt Einblick in die Akte genommen hat. Möchte man sich eine Zweitmeinung einholen, kann man einzelne Einträge für den jeweiligen Arzt sperren. Das war allerdings nur ein kleines Beispiel dafür, was man in Estland alles digital erledigen kann. Nur digital heiraten oder eine Immobilie kaufen darf man noch nicht.
»Äripäev« – Neues Bürokonzept in historischem Gebäude
Der letzte Punkt auf unserer Agenda führte uns zu »Äripäev«.
Äripäev – zu deutsch »Geschäftstag« – ist die auflagenstärkste Wirtschaftszeitung Estlands und residiert in einem kürzlich renovierten ehemaligen Fabrikgebäude. Das Gebäude stammt aus der frühen Sovietzeit Anfang des 20. Jahrhunderts und wurde nach Plänen des Architekturbüros Architect 11 neu gestaltet.
In diesem historischen Raum entstand ein modernes aktivitätsorientiertes Bürokonzept für 280 Personen. Die eigentlichen Arbeitsplätze befinden sich am äußeren Rand des Raumes. Im Zentrum stehen offene und geschlossene Besprechungsräume, eine zentrale Gemeinschaftsfläche sowie eine Bibliothek und ein Arbeitscafé bereit.
Bestehende Materialien wie Kalksteinwände und Betonpfosten, Balken und Decken wurden erhalten und gereinigt. 50% des geschlossenen Glasschiffes wurden geöffnet. Um die einzigartigen Konstruktionen des Gebäudes zu zeigen, wurde zwischen Erd- und Hauptgeschoss ein Atrium eingefügt, von dem aus ein ganzer Pfosten von oben nach unten zu sehen ist.