Dass Coworking irgendwie »cool« ist, das haben wohl die meisten Leute inzwischen mitbekommen. Doch woher kommt diese Coolness, wie lässt sich diese erklären? Wie kann es sein, dass Coworker sich allen Ernstes zu Äußerungen wie in der Überschrift zitiert hinreißen lassen? Und kann das überhaupt sein, dass es beim Coworking – wir reden hier ja schließlich immer noch übers Arbeiten – nur um den Spaß gehen kann?
Nun, wir werden am Ende dieses Beitrags darauf zurückkommen. Zunächst sollten wir kurz klären, wovon wir überhaupt sprechen, wenn wir den Begriff Coworking gebrauchen:
»Coworking ist das flexible Arbeiten weitgehend voneinander unabhängiger Wissensarbeiter an einem gemeinsamen, institutionalisierten Ort. Das hierarchiefreie soziale Netzwerk ermöglicht dabei für die Beteiligten vielfältige Kooperationsvorteile.«[1]
Diese Definition aus unserer Studie von 2014 hat sich in der Folgezeit recht gut bewährt, um den Begriff Coworking vom Rest der Welt abzugrenzen – was ja der Hauptzweck einer Definition ist. Was sie allerdings nicht wirklich vermag ist, den »Spirit« des Coworking hinreichend plastisch zu vermitteln. Dieser Spirit lässt sich besser erahnen, wenn man sich die »Grundwerte des Coworking« anschaut, die in einem der ersten US-amerikanischen Coworking Spaces, dem »Citizen Space«, formuliert wurden:
- Collaboration, worunter hier die grundsätzliche Bereitschaft der Coworker zur Zusammenarbeit zu verstehen ist. Jeder Einzelne kann bei Bedarf auf Unterstützung und Hilfe zählen. Im »Coworking Manifesto«[2] wird dies noch ergänzt durch den Grundsatz »Collaboration over Competition«.
- Community – das bedeutet hier, dass im Coworking Space nicht nur nebeneinander her, sondern in vertrauter Atmosphäre zusammen gearbeitet wird.
- Openness, also Offenheit und Aufgeschlossenheit – mit Sicherheit eine Voraussetzung für eine funktionierende Community.
- Accessability, also Erreichbarkeit und Zugänglichkeit von Coworking Spaces. Diese Anforderungen richten sich primär an die Space-Betreiber.
- Sustainability, also eine Nachhaltigkeit, die ökonomisch, ökologisch und sozial aufzufassen ist.[3]
Um zu verstehen, was am Coworking so faszinierend ist, muss man etwas tiefer blicken und sich zunächst die Situation von Freelancern und Startups anschauen, die in den Jahren nach der Jahrtausendwende durch die Outsourcing-Welle vieler Unternehmen zahlenmäßig sehr stark zugenommen haben. Der US-amerikanische Software-Entwickler Brad Neuberg hat diese Situation im Jahr 2006 sehr treffend formuliert:
»I could either have a job which would give me structure and community or I could be freelancer and have freedom and indipendence – Why couldn’t I have both?« [4]
Wer sehr genau hinschaut, dürfte schon bemerkt haben: Was Neuberg in seiner Frage fordert, ist letzten Endes mehr, als in der bisherigen, »normalen« Arbeitswelt möglich erscheint. Daher dürfte es sich lohnen, diese Komponenten etwas genauer zu betrachten.
Erfolgsfaktor Struktur
»Struktur« bedeutet in diesem Zusammenhang nichts anderes als das Vorhandensein eines Arbeitsplatzes, eines Arbeitsraumes sowie einer gewissen Basisorganisation, die Freelancer sich häufig wünschen. Der Betreiber eines Coworking Space hat dies in einem unserer Interviews sehr eindrücklich formuliert:
»Es geht nicht nur um Flexibilität, sondern um die Kopfschmerzen… die Putzfrau, Internet, Nebenkosten, Konferenzräume, und das sind ja alles Sachen, mit denen ein Geschäftsführer sich nicht unbedingt auseinandersetzen will, wenn er gerade eine Firma aufbaut …«[5]
Erfolgsfaktor Community
Die »Community« lässt sich auf der einen Seite durch ihre soziale Komponente beschreiben, einfach durch die Tatsache, dass man als Freelancer wieder »unter Leuten« arbeiten kann, sogar unter vielfach gleichgesinnten Leuten – das Gefühl, sich als »Gleiche(r) unter Gleichen« im hierarchiefreien (!) Netzwerk wohlfühlen zu können, hat natürlich eine grundlegend andere Qualität als dies alleine im Home-Office möglich ist. Gleichzeitig erfüllt die Community aber auch eine nutzenorientierte Komponente, da durch vielfach ähnliche oder sich ergänzende Qualifikationen mannigfaltige Synergien entstehen. Das Coworking-Netzwerk ermöglicht so Konstellationen und Projekte, die im Alleingang niemals zu bewältigen gewesen wären. Insgesamt ist die Coworking Community wohl die zentrale Komponente, die Freelancer und Startups letztendlich in die Spaces zieht:
»(…) da haben wir auch zu Anfang (…) gedacht, es geht um Schreibtische und Meetingräume – das muss alles funktionieren und wenn hier Internet ausfällt, ist … großes Drama, aber warum die Leute eigentlich herkommen, ist, weil sie Teil einer Community sind.«[6]
Nun werden manche vielleicht denken naja, das mit den Gemeinschaften oder Communities ist ja immer so eine Sache: sie können großartig oder auch weniger großartig sein, die Bandbreite ist nahezu beliebig… Das ist natürlich richtig, und auch in Coworking Spaces muss in dieser Hinsicht nicht automatisch alles eitel Freud‘ und Sonnenschein sein. Auf der anderen Seite ist es aber auch so, dass sich im Coworking viele Gleichgesinnte in einem definitionsgemäß hierarchiefreien Netzwerk mit ähnlichen bzw. sich ergänzenden Interessen freiwillig zum Arbeiten zusammenfinden, und zwar genau dann, wenn sie es wollen – wir denken, das sind schon beste strukturelle Voraussetzungen dafür, dass die Coworking-Communities wirklich »cool« sind.
Erfolgsfaktor Freiheit und Unabhängigkeit
»Freiheit und Unabhängigkeit« schließlich sind Begriffe, die in unserem Zusammenhang den Grad der Selbstbestimmtheit über die eigene Arbeit ausdrücken. Dabei ist zunächst wesentlich, dass die tatsächlich gestaltbaren Dimensionen der Freiheit sich in den vergangenen drei Jahrzehnten zumindest sehr deutlich verändert, also erweitert haben. So prognostizierten wir um die Jahrtausendwende herum noch, dass sich die Welt der Wissensarbeit in einem Wandel befindet, der sich von einem »Arbeite am fixen Ort und zur festen Zeit« hin zu einem – damals mutig erscheinenden »Arbeite wann und wo Du willst« hin entwickelt. Dies ist heute längst erreicht, wobei das (leider) nicht bedeutet, dass jedes Unternehmen diese Möglichkeit seinen Wissensarbeitern auch tatsächlich einräumt. Sehr wohl jedoch ist es in der Weise erreicht, dass ein Unternehmen, das diese Freiheiten umsetzen will, dies auch tun kann.
Doch es kommt noch besser. Denn »wann« und »wo« sind nur zwei Dimensionen der Freiheit. Theoretisch denkbar wären hier aber noch sehr viel mehr Dimensionen. Eine absolute Freiheit in der Arbeit würde nicht nur erlauben, zu arbeiten wann und wo man will, sondern auch für wen, mit wem, wieviel und letztlich sogar was man will.
Abb. 1: Dimensionen der Freiheit in der Wissensarbeit[7]
Zugegeben, dies ist natürlich nur ein theoretisches Konstrukt, denn tatsächlich wird wohl niemand nach Belieben all diese genannten Dimensionen frei gestalten können – denn vollkommen frei bedeutet letztlich auch vollkommen alleine. Dennoch, schon die Tatsache, dass Freelancer heute über diese Dimensionen zumindest einen gewissen Mix an Freiheiten sich quasi zusammenstellen können, ist mehr als bemerkenswert.
Wir haben also gesehen, dass die von Brad Neuberg erhobene Forderung nach Struktur und Community unter Beibehaltung relativ hoher Freiheitsgrade des Freelancers durch Coworking in der Tat erreichbar sind – und zwar alles gleichzeitig.
Abb. 2: Faszination Coworking[8]
Coworking Spaces stellen dabei die Struktur und die Community bereit, wobei ich als Freelancer natürlich selbst Teil dieser Community bin und sie damit auch selbst mitgestalte.
Doch was ist daran eigentlich so faszinierend? Es ist einfach die Tatsache, dass eine solche Gesamtkonstellation von Qualitäten in unserer heutigen Arbeitswelt bislang alles andere als selbstverständlich ist. Dass sowohl Struktur als auch Community als auch Freiheit und Unabhängigkeit tatsächlich zusammengenommen realisierbar sind, dürfte wohl nur in den wenigsten anderen Formen der Wissensarbeit realisiert sein. Dieser Umstand hat tatsächlich das Potenzial, unsere Arbeitswelt zu verändern.
Dies wird besonders deutlich, wenn man Coworker selbst fragt, was sie denn vom Coworking halten. Die Gesamtheit der gegebenen Antworten lässt sich wohl am besten durch den Begriff »Begeisterung« zusammenfassen.
Abb. 3: Faszination Coworking – wie Coworker Coworking sehen[1]
Es ist schon beeindruckend, wie sehr die eher leistungsbezogenen Merkmale »productive«, »inspiring«, »creative« neben den eher emotional-sozialen Merkmalen »collaborative«, »social«, »friendly« und nicht zuletzt – womit wir wieder bei unserer Überschrift und der einleitenden Frage angekommen wären – »fun« mit am häufigsten genannt wurden.
Wir können unsere Eingangsfrage damit wohl gut begründet beantworten: jawohl, beim Coworking geht es um »Fun«. Allerdings – längst nicht nur.
Literatur
[1] Deskmag (2012)
[1] Rief et al. 2014, S. 43
[2] {Coworking #93}
[3] Vgl. Rief et al. 2014, Kapitel 4.4, wo wir die Grundwerte des Coworking ausführlich besprochen haben; vgl. dazu auch die sehr gute Zusammenstellung von Hillman 2011
[4] Rief et al. 2014, S. 15
[5] Rief et al. 2014, S. 65
[6] Rief et al. 2014, S. 69
[7] Stiefel und Rief 2017, S. 20
[8] Stiefel und Rief 2017, S. 21