Unternehmen suchen derzeit intensiv nach Wegen, um ihre Innovationsfähigkeit den Herausforderungen der Zukunft anzugleichen, denn die anstehenden Veränderungen dürften in den meisten Branchen umfassend ausfallen. Dabei ist es nicht ‚nur‘ die Digitalisierung, die viele Märkte radikal, möglicherweise disruptiv umwälzen wird, sondern auch umfassende Entwicklungen im Bereich Industrie 4.0, Energiewende, Verkehrswende und andere mehr. Viele Unternehmen erkennen in dieser Situation, dass herkömmliche Wege der schrittweisen, evolutionären Innovation kaum ausreichen dürften, um solch umfassenden Marktveränderungen zu begegnen.
Ob es dabei wirklich so dramatisch zugeht, dass »… es die letzten dreihundert Jahre wahrscheinlich weniger Veränderungen gegeben hat, als die nächsten dreißig Jahre mit sich bringen werden«[1], wollen wir mal dahingestellt lassen. Klar ist, es ist Neuland, das von Unternehmen betreten werden muss, weil Ausmaß und Stoßrichtung von Innovationen nicht nur neu, sondern neuartig und damit kaum einschätzbar sind.
In den vergangenen Jahren entstanden zwei vielversprechende Ansätzen für die Bewältigung dieser Herausforderungen: zum einen das Corporate Coworking, bei dem Unternehmen Projektteams in extern geführte oder eigens eröffnete Coworking Spaces entsenden, um dort durch neue Arbeitsweisen, neue Impulse und neue Umgebungen zusätzliche kreative Inspiration zu erlangen. Zum anderen Corporate Innovation Labs, die als unternehmenseigene Innovationszentren ebenfalls neuartige Wege der kreativen Arbeit erproben und damit die Innovationsfähigkeit stärken sollen.
Ähnlichkeiten zwischen Corporate Coworking und Innovation Labs
In zwei Studien, die wir in den Jahren 2017[2] und 2019[3] zu diesen Themen veröffentlicht haben, traten zwischen den genannten Ansätzen trotz vielfältiger Formate doch eine ganze Reihe von Ähnlichkeiten bzw. Überlappungen auf. So können immerhin fünf von neun unserer damaligen Coworking-Modelle prinzipiell nicht nur als Corporate Coworking, sondern auch als Corporate Innovation Lab aufgefasst werden:
- Temporäre Anmietung von Team- oder Projektflächen – Ganze Teams erhalten hier die Gelegenheit, temporär in einem Coworking Space zu arbeiten.[4] Schon diese sehr coworking-nahe Form kann aus Unternehmenssicht durchaus als temporäres Corporate Innovation Lab aufgefasst werden, insbesondere, um neue Arbeits- und Kooperationsformen zu erproben, um Kontakte zu Freelancern und Startups zu knüpfen und die andersartige Atmosphäre der Kollaboration kennen zu lernen.
- Coworking im Rahmen von Accelerator- oder Inkubator-Programmen – auch dieses Format haben wir sowohl innerhalb unserer Coworking-Studien als auch in der Innovation Lab-Studie angetroffen, wobei diese in unseren Beispielen immer von Unternehmen getragen waren.
- »Ideenschmiede« – ein vom Unternehmen selbst betriebener »Coworking Space«, der auch Freelancern und Startups offensteht. Hier ist die Überlappung zwischen beiden Formaten sehr groß, denn bis auf die Tatsache, dass in der Coworking-Ideenschmiede grundsätzlich Freelancer und Startups willkommen sind, lassen sich keine formalen Unterschiede zu Innovation Labs feststellen.
- Unternehmensinterne Coworking Spaces hatten wir in der Studie als eigenes Modell behandelt, obwohl die Ähnlichkeit zur vorgenannten Ideenschmiede sehr groß erscheint. Wir hatten uns damals so entschieden, weil wir zwischen diesen beiden Formen große potenzielle Unterschiede hinsichtlich der dort herrschenden Kultur gesehen haben – die Ideenschmiede als relativ freier, vom Unternehmensstandort losgelöster Space gegenüber dem internen, möglicherweise der klassischen Unternehmenskultur sehr ähnlicher Charakteristik verhafteten internen Space. Beide Formate können grundsätzlich auch als Corporate Innovation Lab verstanden werden, wobei die kulturelle Atmosphäre unserer Erkenntnis nach sehr entscheidend für den Erfolg ist.
- Coworking im Verbund mit anderen Unternehmen. Diese Variante kombiniert die beiden zuletzt genannten Modelle mit einer Mehrfachnutzung durch verschiedene Unternehmen – damit hat dieses Modell strukturell zusätzliche Kooperationspotenziale.
Hierarchiefrei?
Doch was ist es, was diese Corporate Coworking Modelle gemeinsam haben und wo ist die Gemeinsamkeit zu Innovation Labs zu sehen? Dafür lohnt zunächst ein Blick in die entsprechenden Definitionen, zunächst ein Auszug derer für Coworking:
»… Das hierarchiefreie soziale Netzwerk ermöglicht für die Beteiligten vielfältige Kooperationsvorteile.«[5]
Für manches Unternehmen mit Sicherheit ein Satz, der nicht ohne ist – denn hierarchiefreie soziale Netzwerke sind dort nicht eben an der Tagesordnung. Allerdings, der Ansatz wird heute zumindest ernsthaft diskutiert[6] und auch praktiziert: Nur zwei erfolgreiche, zumindest hierarchiearme Unternehmen wie der Musikstreaming-Dienst Spotify oder die Drogeriemarktkette dm seien hier als Beispiele genannt.
Wir kommen darauf zurück. Doch zunächst schauen wir uns die Definition von Corporate Innovation Labs an:
»Corporate Innovation Labs sind von Unternehmen genutzte Räume der Freiheit, die als Experimentierfelder für neue Team- und Führungsstrukturen, neue Arbeitsweisen bzw. neue Methoden Innovationen analysieren und/oder initiieren sollen.«[7]
Zwei Merkmale aus dieser funktional formulierten Definition wollen wir hier herausgreifen:
- Räume der Freiheit – das aus unserer Sicht zentrale Charakteristikum von Innovation Labs. Warum? Ganz einfach, weil Freiheit unseren Erfahrungen nach Innovationen beflügelt. Welche Freiheit ist hier gemeint? Primär interne Bewegungs- und Entscheidungsfreiheiten, die es den Mitarbeitern erlauben, vielfältige Ideen zu durchdenken und – meistens bis zum Prototypen – zu entwickeln und zu testen. Die Freiheit, auch einmal absurd erscheinende Dinge zu wagen und dabei auch Fehler zu begehen.
- Experimentierfelder für neue Team- bzw. Führungsstrukturen – spätestens dieser Aspekt eröffnet die Chance, auch mit hierarchiefreien Strukturen zu experimentieren, womit eine strukturelle Artverwandtschaft zum Coworking zwar nicht zwingend, aber doch als Möglichkeit gegeben ist.
Nun ist es in der Tat so, dass viele der von uns interviewten Unternehmen, die ein erfolgreiches Innovation Lab eingeführt haben, damit gezielt ein anderes Arbeiten und einen positiven Umgang miteinander anstreben, hierzu nur ein Beispiel:
»… Und das bedeutet, Meinungen zuzulassen, das bedeutet, respektvoll miteinander umzugehen, und das bedeutet einfach auch, sich zu comitten, andere Ideen und Konzepte zu schätzen, ja wertzuschätzen. Weil nichts treibt mehr die Motivation an, als wenn man positive Wertschätzung erfährt für Ideen und Konzepte. Also, so ein Umfeld von Fehlerkultur zuzulassen, wo Kreativität quasi eine Stärke ist, ja, wo Chaos auch eine Stärke ist, das ist etwas, was alle Innovation Labs und Hubs gleich haben sollten.[8]«
Einige Unternehmen scheinen sich anlässlich der Bildung ihres Labs auf solche, eigentlich selbstverständlichen Grundwerte zu besinnen – ein Ansatz, der je nach kultureller Ausgangssituation schon einiges Potenzial besitzt.
Doch muss es deswegen auch gleich hierarchiefrei sein? Zwei Überlegungen sprechen dafür, zunächst eine sehr offensichtliche: wir fragten ein großes Dienstleistungs-Unternehmen, das gerade eben erst sein neues Lab eröffnet hatte, welche bisherigen Restriktionen bzw. Hindernisse für den Innovationsprozess sich schon nach so kurzer Zeit verringert hatten. Die Antwort war eindeutig:
»Das sind lange Entscheidungswege. Und hohe Hierarchiestufen, die eine nach der anderen zu erklimmen sind, um ein Thema voranzubringen.«[9]
Schon diese knappe Aussage beinhaltet einiges Potenzial zur Verkürzung und Verbesserung von Innovationen, denn lange Entscheidungswege erfordern unnötig Zeit und die hohen Hierarchiestufen sorgen aller Erfahrung nach dafür, dass einige Ideen in diesem Geflecht hängen bleiben.
Dennoch, dies ist bislang nur eine flachere hierarchische Struktur, noch keine Hierarchiefreiheit. Ein sehr starkes Argument für den Verzicht auf Hierarchien in kreativen Innovationsprozessen liefert jedoch folgende Aussage:
»Unternehmen schöpfen ihren Erfolg in der Regel aus einem gut strukturierten, meist hierarchisch organisierten Aufbau in arbeitsteiligen Abteilungen. Die nötige Effizienz, um für eine hohe Produktivität zu sorgen, wird nicht zuletzt durch diese Ordnung und wiederkehrende Routinen erreicht.
Kreative Ideenentwicklung benötigt fast das Gegenteil: Keine Hierarchien, interdisziplinäre statt arbeitsteilige Zusammenarbeit, Fehlertoleranz, vielfältiges, flexibles Denken anstelle von Routinen und Freiraum statt Verwaltung.«[10]
Strukturmerkmale für kreative Prozesse
Mit den hier geforderten Merkmalen für kreative Prozesse, nämlich
- Hierarchiefreiheit,
- Interdisziplinarität,
- multidimensional-flexibles Denken
- Fehlertoleranz und
- Freiraum
werden schon einige wichtige Anforderungen an erfolgreiche Corporate Innovation Labs zusammengefasst. Warum? Ganz einfach, weil kreative Ideenentwicklung natürlich zu den wesentlichen Funktionen eines Labs gehört.
Wie ähnlich sind nun Coworking Spaces hinsichtlich dieser qualitativen Merkmale? Nun, die Hierarchiefreiheit innerhalb der Coworking Community hatten wir sogar in unsere Definition aufgenommen. Bei der Interdisziplinarität ist es nicht ganz so eindeutig, allerdings ist diese in den meisten Spaces faktisch gegeben. Auch multidimensional-flexibles Denken kann für Coworking Spaces als gegeben angenommen werden, weil dieses sowohl durch die community-orientierte, kollaborative Coworking-Kultur als auch durch die oben genannte Interdisziplinarität begünstigt wird. Hinsichtlich Fehlertoleranz lässt sich hingegen keine grundlegende Aussage anstellen, da diese – man denke zum Beispiel an Startups – in kleineren Teams sehr unterschiedlich gehandhabt werden kann. Somit lässt sich für dieses Merkmal eine Makro-Sicht auf die gesamte Space Community kaum durchführen. Der Freiraum ist zwar strukturell in sehr hohem Maße gegeben[11], kann sich jedoch individuell, z. B. für einzelne Freelancer oder Startups in Gründung, auch unterschiedlich darstellen.
Diese Überlegungen sind natürlich theoretischer Natur. Sie zeigen in die Richtung, dass Coworking Spaces qualitative kulturelle Merkmale aufweisen, die tendenziell kreative Prozesse sehr gut unterstützen können. In der Praxis lässt sich diese Vermutung mehr als bestätigen: so werden Coworking Spaces und kulturell ähnliche Einrichtungen[12] heute vielfach unter dem Begriff »Kreativzentren« oder gar als lokale »Kreativszene« subsummiert. Und wie wir in unserer Corporate Coworking-Studie zeigen konnten, sind viele Unternehmen daran interessiert, entweder mit dieser Kreativszene zu kooperieren (Corporate Coworking) oder etwas Vergleichbares in Eigenregie aufzubauen (Corporate Innovation Labs) – oder beides zu kombinieren.
Fazit
Die kulturellen Ähnlichkeiten zwischen Coworking und Innovation Labs dürften aus den bisherigen Überlegungen klargeworden sein. Mitunter gehen die Gemeinsamkeiten so weit, dass beispielsweise der Betreiber eines als Inkubator aufgesetzten Innovation Lab im Interview folgendes geäußert hat:
»Ja – das nennen wir Coworking… die Teams haben Austausch miteinander. Wir sorgen dafür als Plattform, wir moderieren das, wir sorgen zum Beispiel dafür, dass alle Monate ein größeres Event stattfindet, wo sich die Startups mit ihrem aktuellen Stand den anderen vorstellen. Dann finden noch Diskussionen statt –und dann kommt Austausch zustande.«[13]
Das ist Coworking pur. Daraus folgt, dass Unternehmen in der Tat einiges von Coworking Spaces lernen können – wobei dieses Lernen zumeist nichts Anderes bedeutet, als einen kulturellen Paradigmenwechsel zu wagen. Genau dafür sind Innovation Labs, in denen projektorientiert, also in zeitlich befristeten Abschnitten mit einer überschaubaren Anzahl von Mitwirkenden gearbeitet wird, bestens geeignet. Denn in solchen Umgebungen lässt sich hervorragend mit neuartigen Arbeitsweisen und Führungsstrukturen experimentieren.
Doch wie konkret soll denn nun ein Corporate Innovation Lab konzipiert und umgesetzt werden, um erfolgreich arbeiten zu können? Um es kurz zu machen, dies lässt sich nicht im Detail allgemeingültig beschreiben – wir haben erfolgreiche Innovation Labs unterschiedlichster Formate kennengelernt, gleichzeitig liest man häufig auch von gescheiterten Labs, die ebenso nach verschiedensten Strukturmodellen aufgesetzt waren. Was wir allerdings in unserer Studie herausarbeiten konnten, waren einige Prinzipien bzw. übergeordnete Anforderungen, die bei der Konzeption von Labs verfolgt werden sollten.
Eine Auswahl unserer Erfahrungen und Erkenntnisse hierzu werden wir im nächsten Blogbeitrag zum Thema erläutern.
Verweise:
[1] Joho 2018
[2] Stiefel und Rief 2017
[3] Stiefel und Rief 2019
[4] Stiefel und Rief 2017, S 44 (Modell 2), s. die folgenden Modelle ebd., S. 46 ff.
[5] Rief et al. 2014 , S. 43
[6] Vgl. z. B. Laloux 2014 vs. Väth 2019
[7] Stiefel und Rief 2019, S. 22
[8] Aus einem Interview zu »Corporate Innovation Labs«, vgl. Stiefel und Rief 2019, S. 45
[9] Stiefel und Rief 2019, S. 103
[10] Heimann und Schütz 2016
[11] Stiefel und Rief 2017, S. 19 f.
[12] wie z. B. Hackerspaces, FabLabs u. a.
[13] Stiefel und Rief 2019, S. 59
Literaturverzeichnis
Stiefel, Klaus-Peter; Rief, Stefan (2017): Coworking – Innovationstreiber für Unternehmen. Coworking – driver of innovation for companies. Hg. v. Wilhelm Bauer. Fraunhofer-Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation; Fraunhofer IRB-Verlag. Stuttgart.