Willkommen im Wunderland! Wenn man heutzutage einen Blick in umgestaltete Büroräume wirft, die sich scheinbar »On the way to new work« befinden, erinnern diese sehr oft an das Småland in Ikea: Grelle, bunte Farbkonzepte oder leuchtende Tapeten mit tanzenden Flamingos, Hängematten vor den Fenstern, Kunstrasen garniert mit Sitzkissen aller Art, ein Tischkicker hier und eine Hollywoodschaukel dort. Ein Raum der ruft: Hey, bewegt euch! Seid wild! Seid wendig und dynamisch! Seid kreativ! Bringt Innovation und Ideen! In der schönen, neuen Arbeitswelt gleicht die Arbeit am Schreibtisch einem Urlaub im Schwarzwald, das Erstellen einer Projektskizze im Schneidersitz zwischen den Grashalmen des Kunstrasens einem Abenteuertrip nach Vietnam.
Erhofft werden sich aus dieser Umgestaltung meist zwei wesentliche Dinge: Zum einen ein verbesserter Wissenstransfer zwischen den Mitarbeitenden, zum anderen eine Steigerung kreativer Prozesse und die Entwicklung neuer, innovativer Ideen. Doch ist es tatsächlich so einfach?
Ein Arbeitsplatz zwischen Yucca-Palmen, einer Fototapete mit Meeresblick und einem Barfußpfad mit Echtsand ist zunächst einmal eines: Hip. Wer sich morgens neben dem ersten Durchlesen der E-Mails eine Minute Zeit nimmt, um seine Kaffeetasse in der besagten Szenerie zu fotografieren, hat bereits das erste perfekte Instagram-Foto des Tages. Was passiert jedoch, wenn Yucca-Palmen aus der Mode kommen? Sich der echte Sand irgendwann nicht mehr nur auf dem Barfußpfad befindet, sondern epidemieartig in den Lüftungen der Notebooks und Smartphones ausbreitet? Und die Fototapete mit Meeresblick im Laufe zahlreicher Sonnenstunden immer weiter verbleicht? Was bleibt dann noch, von der schönen, neuen Arbeitswelt?
Das Robinson Crusoe-Syndrom
Auch in der Stadtplanung geht man bereits seit längerem der Frage nach, wie und mit welchen Infrastrukturen kreative Räume im urbanen Kontext aktiv gefördert werden können. Schaut man sich den ursprünglichen Kern der Entstehungsorte von sogenannten Kreativquartieren genauer an, in denen Co-Working Spaces und Innovation Hubs schlagartig aus der Erde sprießen und Jungunternehmer um noch so kleine und längst überteuerte Büroflächen kämpfen, so lässt sich zwischen ihnen ein klarer gemeinsamer Nenner erkennen: Ein anfänglicher Freiraum. Stadtsoziologin Dr. Janet Merkel schrieb dazu in ihrem 2012 erschienenem Handbuch »Kreative Milieus« folgendes:
»(…) Kreative suchen lebendige, eklektische, interaktive Straßenszenen, nicht die inszenierten Erlebniswelten von Museumsclustern, Shopping Malls und Hochkulturen im ›Urbanen-Entertainment-Center‹ mit ihren geplanten Urbanitätsvorstellungen. Sie suchen das urbane Leben, wie es idealtypisch mit kleinräumigen, funktional gemischten Quartiersstrukturen in Großstädten verbunden wird.«
Innovation und Kreativität im Stadtraum zu fördern ist eine Herausforderung, wenn nicht gar ein Widerspruch. Die gelb-rot lackierten Picknickbänke, eingerahmt von Pflanzenkübeln mit Hanfpalmen vor dem Eingang einer gläsernen Shoppingmall, werden wohl selbst mit bestem W-LAN und Steckdosenleiste nicht zu Keimstätten von jungen Start-ups mit innovativen Ideen mutieren. Eine einsame, verlassene Strandbar mit verblichener gelb-rot lackierter Picknickbank, eingerahmt von einem Wald aus jahrzehntelang gewachsenen Palmen aller Art vielleicht schon. Ein gewisser Teil bei der Planung des Anstoßens kreativer Prozesse in urbanen Räumen beruht mit Sicherheit auf dem Zauber einer unberührten Landschaft, die den Trieb der Neugier in uns weckt. Im Shoppingcenter ist jeder Schritt mehr oder weniger vorgegeben: Zu Beginn die Geldautomaten, eine Aneinanderreihung von Boutiquen, im Herzen der Foodcourt, nahe des Parkhauses Möbel- und Lebensmittelläden für den bestmöglichen Komfort ohne Anstrengung und Mühe. Kreative Räume in Städten besitzen solche Wegführungen nicht. Die »Entdecker« dieser Orte müssen ihre eigenen Wege finden und können dabei ihre individuellen Fußspuren hinterlassen. Orte wie diese besitzen die Freiheit und den Reiz des Unvollendeten, der die Ureigenschaft des Menschen fördern kann – die Neugier. Es bedarf Freiraum im Denken und Handeln, um in einer Industriehalle Kreativ- und Innovationslabs zu sehen oder einen verlassenen Leuchtturm zu einem Co-Living Projekt umzubauen.
Spielplatz ist nicht gleich Spielraum
Die anfangs beschriebenen Büroräume der Zukunft erinnern mich persönlich viel zu oft an genau diese, zuvor beschriebene Shoppingcenter-Szenerie. Ein Raum der ruft: Hey bewegt euch! Seid wild! Seid wendig und dynamisch! Seid kreativ! Bringt Innovation und Ideen! Ein Raum der schon fast befiehlt, nicht mehr nur mehr animiert. Aber am allerwenigsten ein Raum der Spielraum ist.
Als Kind war das Småland in Ikea für mich ein kleines Paradies. Aber nicht nur das. Manchmal entwickelte sich das Bällebad mit seinen 5 x 5 m zu einem Ozean mit Haien und fliegenden Fischen. Manchmal zogen wir dort aber auch als Karawane durch Wüstensand, schützten uns mit Papiermasken vor den unberechenbaren Sandstürmen und schrieen erleichtert auf beim Erreichen des Wasserbecken – das 3-er Sofa SÖDERMANN, flachgewebt aus dem neuen Sortiment. Das 100 qm große Småland – in meiner Erinnerung ist es eine Welt. Und diese Welt mit dem höchsten Maß an Kreativität und Innovation wurde nicht geschaffen durch Animation und Entertainmentprodukte, sondern vor allem durch die Möglichkeit des völlig freien Denkens und Handelns.
Dass Arbeiten nicht mehr nur gleichgesetzt wird mit dem bloßen Sitzen auf einem Stuhl am Schreibtisch ist ein großer Fortschritt. Die Möglichkeit zu haben, sich für eine passende Arbeitsumgebung entscheiden zu können, ebenfalls. Allerdings bedeutet ein Spielplatz nicht gleich Spielraum. Dafür bedarf es teilweise bedeutend mehr vom Weniger. Weniger Tapete mit tanzenden Flamingos, weniger Echtsand, weniger Kunstrasen, weniger Vor- sondern viel mehr Freigabe. Denn wenn man fliegende Fische auf eine Fototapete mit Meeresblick malen muss, um sie zu sehen, dann tut es auch ein weißer Anstrich – ohne alles.
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